ZUM HERRNHUTER#

Wien
Herrnhuter alt

In der engen Seilergasse befand sich an der Ecke zum Neuen Markt ein unscheinbarer Gassenladen an den man meist achtlos vorbei ging. In der Auslage befanden sich nur einige Schaustücke, die einem nicht zum Anhalten verführten. Wer aber in das Gewölbe eintrat staunte nicht wenig sowohl über den Andrang von Kunden aller Stände, als auch über die große Auswahl und Gediegenheit der Verkaufsartikel, die hier geboten wurde. Das in so bescheidenen Umgebung betriebene Geschäft war eine Art von Lokalberühmtheit, und bereits um die Mitte des XVIII: Jahrhunderts ein sehr geschätzter Leinwandhandel.

„Zum Herrnhuter“ nannte es sich schon damals. Und der alte Herr, von dem er den Namen hatte, stand als steinerner Schutzpatron in einer Nische an der Ecke des Hauses und hielt treue Wacht über das Haus.

Herrnhuter hießen bekanntlich die mährischen Brüder, welche, im Jahr 1722 aua Österreich vertrieben, beim Grafen von Zinzendorf in der Lausitz Schutz und Aufnahme gefunden hatten. Die Sekte , die sich zur Aufgabe gemacht hatte die Lauterkeit des Urchristentums wieder herzustellen, verbreitete sich von dem kleinen Ort Herrnhut aus in die ganze Welt, und die Quäker in Nordamerika sind auch eine Abart davon.

Die ersten Ansiedler kamen sehr bald in guten Ruf durch ihre Arbeitsamkeit, ihre Redlichkeit, ihr streng sittliches Verhalten und die feinen Leinenwaren, die sie im Handel brachten. Der Herrnhuter galt für den Begriff der Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit.

Dass das Geschäft „Zum Herrnhuter“ dieser Tradition treu geblieben ist, dafür spricht sein langjähriger Bestand. Seit dem Jahr 1750 existiert es an Ort und Stelle. Zeugnis darüber gibt ein in vieler Beziehung merkwürdiges Dokument, versehen mit dem Insiegel und der eigenhändigen Unterschrift der Königin Maria Theresia, worin „auch die Freiheiten und Privilegien der Zwanzig Bürgerlichen Leinwandhändler verneuret und bestättet, und auch in ein so anderen Punkten und Clausalen verändert und nach Notdurft erläuteret werden.“

„Über solche Anzahl deren zwanzig Bürgerlichen Leinwandhändlern“ heißt es dann weiter „solle auch niemand in bemeldeter Stadt Wienn, zu keinen Zeiten, außer denen Zweyer Jahr Märkten mit ihren zuständigen Sorten und Waaren, als da seyend, Weiß- und ungebleichte Niederländische, Galler- Almer, Kemptner, Schwäbisch, Bayrisch, Ober-Österreichisch usw allerhand gefärbt, und ungefärbte Schadter usw Dagegen soll zu Beförderung der Ehre Gottes ein jeder Bestand Inhaber dahin fehalten seyn an den zwayen gewöhnlichen Corporis Christi Prozessionen sammt seiner Handlungs Dienern und Lehr Jungen um sechs Uhr früh wenn bei St. Stephan das gewöhnliche Glocken Zeichen gibet bei der Bruderschafts Fahn fleißig erscheinen“ Dadiert ist das Dekret vom „zehenden Monaths Tag Septembris nach Christi unseres lieben Herrn und Seeligmachers gnadenreichen Geburth im Siebenzehn Hundert und Fünfzigsten Unserer Reiche im Zehenden Jahre“

Neubau
Zum Herrnhuter

Im Jahr 1794 ging das Geschäft in den Besitz der Firma Felbermayer über, deren Chefs auch mit dem Titel k., und .k. Hof- und Kammerlieferanten ausgezeichnet wurden. Aber das alte Haus konnte den Anforderungen der Jetztzeit nicht mehr genügen. Es hatte sich selbst überlebt und musste einem modernen Prachtbau weichen und der alte „Herrnhuter“, der Schutzpatron des Geschäftes, ist von seinem bescheidenen Eckplatz in das neue glänzende Heim übersiedelt.

Dieses auf dem Komplex von vier alten Häusern nach den Plänen des Architekten Julius Mayreder von der Firma Frauenfeld & Berghof erbaute, vom k., und k. Hofkunsttischler Bernhard Ludwig eingerichtete Geschäftshaus präsentiert sich als eine Zierde der Inneren Stadt. Moderne Baukunst, Technik und vornehmer Geschmack haben sich zusammen gefunden, um ein Gebäude zu schaffen, wie es auch in den Weltstädten nur wenige gibt. Es wurde ebenso sehr auf zweckmäßige Anlage, auf Komfort, als auch auf künstlerische und elegante Ausschmückung gesehen. Schon die Auslage, ei riesiger Glaserker, der bis zum ersten Stockwerk reicht, ist eine Sehenswürdigkeit. Abends bei elektrischer Beleuchtung macht sie noch größeren Effekt

historisch
Figur

Die Verkaufshalle, in die auch mittels Glasüberdachung der Hof einbezogen worden ist, zieht sich längs des Neuen Marktes und der Seilergasse hin. Vom Haupteingang aus kann sie mit einem Blick übersehen werden. Die Einrichtung ist aus Ahorn, eingelegt mit Amaranthholz. Für die Ankleide- und Probezimmer wurde Mahagoni in Verwendung gebracht. Die Konfektionswaren befinden sich in großen Glasschränken, die von innen beleuchtet werden können, was sehr originell wirkt. Das Souterrain enthält die Pack- und Vorratsräume, die Abteilung für die englischen Messingbetten und die Bettfedernkammer, alles sehr praktisch eingerichtet. Nach einem ganz neuen Wareneinlagerungssystem ist das Souterrain durch Eisenkonstruktion unterteilt. Dadurch ist es möglich, jedes Stück Ware bequem mit der Hand zu erreichen, ohne sich einer Leiter bedienen zu müssen. Im obersten Stockwerk sind die Ateliers untergebracht. Zwischen diesen und den Verkaufsräumen stellen zwei elektrische Aufzüge die Verbindung her. Den Giebel schmücken künstlerisch wertvolle Figuren von Bitterlich, den Handel und die Industrie darstellend. Anstoßend an die Verkaufshalle befindet sich das „Maria Theresien Zimmer, in dem die Reliquien des Herrnhuter Hauses aufbewahrt sind: ein Bildnis der großen Kaiserin, das vorhin erwähnte Dokument mit ihrer eigenhändigen Unterschrift, der alte Verkaufstisch. Bilder des alten Hauses, das Türschloss, mit dem am Abend des 23. November 1901 das alte Geschäft nach 150jährigem Bestand zum letzten Mal versperrt worden ist, zwei Servietten aus dem Anfang des vorigen Jahrhunderts und anderes. Auch das Mobiliar ist alt und ehrwürdig, dem alten Haus entstammend vom Hofkunsttischler Ludwig aber auf Glanz hergerichtet.

Über die Verkaufsartikel, die Leinen- und Konfektionswaren wird sich jeder Käufer selbst sein Urteil bilden. Dass sie gediegen und billig sind, dafür bürgt der alte „Herrnhuter“, der stets auf seine Reputation gehalten, und der seinen Wappenschild rein bewahrt nach dem Wahlspruch „servare intaminatum“.

Unter Notizen war im Mai 1902 folgendes zu lesen: Zum Herrnhuter. Alljährlich kommen viele unserer Leser aus der Provinz zu Pfingsten nach Wien, um die Sehenswürdigkeiten unserer schönen Stadt zu besichtigen. Wir machen da besonders auf das im Jahr 1901 erbaute neue Herrnhuter Haus am Neuen Markt aufmerksam, welches durch einen fünfzehn Meter langen, gläsernen Vorbau das Interesse aller Vorübergehenden fesselt. Dieser Vorbau, der Seinesgleichen nirgends findet, bildet einen herrlichen architektonischen Schmuck des genannten, öffentlichen Platzes, und enthält geschmackvoll arrangierte Schaustellungen verschiedenen Leinen- und Wäsche Konfektionsartikel, der seit dem Jahr 1794 bestehenden Firma Felbermayer & Cie. „Zum Herrnhuter“. Auch die Verkaufsräume und Souterrainlokalitäten dieses schönen Neugebäudes sind eine Sehenswürdigkeit, und werden den Fremden jederzeit bereitwilligst gezeigt.

Dezember 1904: In seiner Wohnung im Herrnhuterhaus ist heute früh der Oberforstmeister und Redakteur der „Österreichischen Forst- und Jagdzeitung“ Josef Emil Weinelt gestorben. Er war zu Zuckmantel geboren, hatte die Realschule in Neisse, die Forstpraxis in Zuckmantel und Ossegg, die mährisch-schlesische Forstanstalt in Eulenberg und die Wiener technische Hochschule absolviert. Die Leiche wird im Dom zu St. Stephan eingesegnet und seine letzte Ruhestätte findet auf dem Zentralfriedhof statt.

Am 25. Jänner 1911 starb nach langem schweren Leiden der Architekt Julius Mayreder im 51. Lebensjahr. Er studierte bei Friedrich von Schmidt. Zu den bekanntesten seiner Bauten zählt das Herrnhuterhaus. Wird in der Servitenkirche eingesegnet und auch sein Grab ist auf dem Wiener Zentralfriedhof zu finden.

Architekt
Julius Mayreder

Einige Jahre später wurden im Herrnhuterhaus, die neuen, erweiterten Verkaufsräume eröffnet. Fünf Jahre später hat das genannte Leinen- und Wäschehaus, die alte, sehr bekannte Hofwäschehandlung Kraner & Neumann am Stephansplatz erworben und diese mit der Firma Felbermayer & Cie., vereinigt. Im Laufe der Zeit stellte sich die Notwendigkeit heraus, die Verkaufslokalitäten zu vergrößern, und zu diesem Zweck wurde im Herrnhuterhaus das Magazin eingerichtet so sich jetzt der Brautwäschesalon, ein Verkaufssalon, für Blusen, Schlafröcke und Jupons sowie eine Abteilung für Bettwaren befinden. Die neuen Verkaufssalons, von der Firma Portois & Fix mit erlesenem künstlerischen Geschmack ausgestattet, können als eine Sehenswürdigkeit moderner Dekorationskunst gelten.

Herrnhuter
Schnittwarenabteilung
Herrnhuter
Konfektionsabteilung

Zum Jubiläum der Firma Herrnhuter bekamen die Kunden als Festgeschenk einen glasklaren Anhänger mit eingravierten hochkünstlerisch ausgeführten Komposition von dem heiligen indischen Elefantenbaby und dem aus dem Sanskrit, dem heiligen Buch der Inder, her bekannten Glückszeichen, dem sogenannten A-u-m.

Seit einigen Jahren residiert in dem Prachtbau „BILLA“

QUELLE: Deutsches Volksblatt 1. Dezember 1908 S 22, Neues Wiener Tagblatt 15. Dezember 1901, S 9 Bilder, ANNO Österreichische Nationalbibliothek

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