WEIHNACHTLICHES#

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Christbaumverkauf, Die Bühne

1927: Über Herkunft und Alter dieses Festes selbst sind allgemein falsche Ansichten verbreitet. Man glaubt, dass das Weihnachtsfest und der Weihnachtsbaum uralte Dinge sind, und um diese Annahme zu zerstören, möchte ich das Gedächtnis an vier Vorträge über das Weihnachtsfest auffrischen, die Dr. Rudolf Steiner in den Jahren 1908, 1909 und 1911 in Berlin gehalten hat. In diesen Vorträgen spricht der Schöpfer der gewaltigsten Christologie, die den Menschen jemals geschenkt ward, vom Sinn und von der Bedeutung der Weihnacht. Die Urchristen haben noch kein Weihnachtsfest besessen, denn die erste christliche Weihnacht fällt in das Rom vom Jahr 354, und noch weit jünger ist der Weihnachtsbrauch selbst: die ersten Nachrichten über den Christbaum in deutscher Stube reichen nicht weiter als bis auf das Jahr 1642 zurück.

Zu jenen Zeiten aber, um die Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts, war der Weihnachtsbaum noch kein Brauch, er stand vereinzelt in deutschen Häusern, die der Hauch der christlichen Mystik umwehte. „Brauch“ ist der Christbaum im achtzehnten Jahrhundert, aber erst im neunzehnten ist er allgemein üblich geworden. Nicht viele von uns haben gewusst,m dass das erste deutsche Weihnachtsgedicht, das den Christbaum einbezieht, von Johann Wolfgang von Goethe und aus dem Jahr 1821 stammt.

Vor dem Jahr 354 feierten die ersten Christen außer die Toten- und Märtyrerfeste einen anderen Tag; sie begingen das Gedächtnis an die Johannistaufe im Jordan am 6. Jänner, und erst viel später findet sich die kalendarische Anordnung: 24. Dezember, Adam und Eva, 25. Christi Geburt. Das moderne Bewusstsein kann diese historischen Feststellungen in sich aufnehmen, ohne deshalb um die tiefe, geistige und seelische Bedeutung des Geburtsfestes Christi zu wissen. Gerade über diesen Punkt aber hat Steiner neues Licht gebreitet. Er zeigt, dass wohl das christliche Weihnachtsfest in seiner heutigen Bedeutung eine jüngere Einrichtung ist, dass aber die vorchristlichen Mysterien ohne Ausnahme um dieses Ereignis gewusst haben, und dass es in ihren Einweihungsschulen eine große Rolle spielt. Christus: das war der Sonnenheld der alten Mysterien, und es ist zum Beispiel sehr interessant zu sehen, wie in den alten Mithrasschulen, die siebe Grade der Einweihung kannten, das Geheimnis des Sonnenhelden zwischen dem sechsten und siebenten Grad gezeigt wird. Die ganze geschaffene Welt unterliegt ja dem Sonnenrhythmus. Das geben auch unsere modernen Menschen zu, ohne zu wissen, dass der Sonnenrhythmus gerade vor dem Menschen halt macht, und dass sich just in diesem Punkt der ungeheure Unterschied ,zeigt, der zwischen Tier und Mensch liegt Auf dem Menschen im gewöhnlichen Sinn wirkt der Sonnenrhythmus nicht mehr: der Mensch musste die Ablösung von diesem regelmäßigen Einfluss dafür zahlen, dass er sein Selbstbewusstsein entwickeln und seine persönliche Freiheit gebrauchen lernen durfte. In der Tat handelt es sich beim Weihnachtsfest im Grunde um das Mysterium des Lichtes und des Dunkels; es bedeutet, auch für den modernen Menschen, losgelöst vom Erdendunkel, im Licht lebt. Ist es nicht sonderbar, wenn man bedenkt, dass das Geburtsfest des Christus gerade in eine Zeit fällt, da die Erde am dunkelsten ist, da sie ganz abgestorben und regungslos erscheint, und da die Sonne die Erde im geringsten Grad mit ihrer Wärme bestrahlt?

Trotzdem und gerade deshalb ist es aber ein Fest der Harmonie mit dem Kosmos, das auf den Ursprung des Menschen in ferner Vergangenheit hinweist, auf seine Geburt aus dem Licht. Mit dem Christus wird etwas geboren, was den Tod überwindet, den Tod, der, um ein Paradoxon zu gebrauchen, nur davon lebt, dass wir ihn missverstehen und für ein Ende halten. In den alten Mysterien war den Schülern der Eingeweihten der Christus genau so bekannt, wie später, als er zur Erde kam, die neueren Einweihungsschulen Mittel und Wege gesucht und wieder gefunden haben, um ihn zu entdecken. Paulus spricht das große Wort vom „Christus in mir“, und der moderne Mensch empfängt nun aus den Händen neuer Lehrer neue Einsicht in dieses paulinische Geheimnis.

Es geht heute darum, den Christus im Menschen zu erwecken, und, wenn wir unser Zeitalter aus diesem Gesichtspunkt betrachten, so ist es ganz voll von Impulsen dieser Art, so dass man fast sagen könnte, Weihnachten findet im modernen Bewusstsein eine neue und ganz besondere Wichtigkeit und Bedeutung. Die alten Symbole, haben heute ganz frische Kraft, und allgemein melden sich geistige Symbole und Strömungen die der Zeitgeist dem irrenden Menschen zusendet. Vorläufig ist es allerdings noch ein ganz wirres Getriebe von Meinungen, Ansichten und geheimnisvollen Wichtigtuerei. Um so größer wird die Verantwortung für alle, denen gegeben ist, wahre Einsicht in den Geist unseres Zeitalters zu vermitteln. Eine Betrachtung des Weihnachtsfestes, eine Meditation ü er Ursprung, Alter und Sinn dieser grandiosen Feier wären das beste Mittel dazu, die Menschen aufzuwecken und aus dem Schlummer Gerissene auf den rechten Weg zu führen.

QUELLE: Die Bühne, 1927 H 163, S 6, ANNO Österreichische Nationalbibiothek

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