HOFRAT OTTO KAHLER#

Arzt
Hofrat Otto Kahler, Wiener Montags Journal

1889: Professor Dr Otto Kahler trifft im Verlaufe der nächsten Tage in Wien ein, um als Nachfolger Bambergers sein Lehramt an der Wiener Fakultät anzutreten. Der Abschied von Prag war dem Gelehrten überaus schwer, zumal seine Schüler und Freunde sich in der Vorwoche nochmals bemühten, ihm ihre Liebe und Verehrung durch eine herzliche Ovation öffentlich zu bezeugen. Die Prager deutsche medizinische Fakultät erleidet durch den Abgang Kahlers einen empfindlichen Verlust.

Schon am Samstag 11. Mai 1889 hatten die Wiener Mediziner Gelegenheit Professor Dr. Otto Kahler, als er zum ersten Mal bei einer praktischen Prüfung erschien, kennen zu lernen. Dem Ernst der Sache entsprechend, unterblieb damals jede laute Empfangskundgebung. Erst heute kam es gelegentlich der Antrittsvorlesung des Neuernannten zu einer glänzenden Ovation von Seiten der Studenten, welche die Räume der Klinik bis auf den letzten Platz füllten. Im Auditorium befanden sich auch die Professoren Puschmann und Stoffella, viele Assistenten und praktische Ärzte. Um 7 Uhr 30 erschien Prof. Kahler in Begleitung Hofrat Nothnagels und wurde auf das freundlichste mit anhaltendem Applaus begrüßt.

Professor Kahler, der erst 40 Jahre zählte, ist ein Mann von stattlicher und gewinnender Erscheinung und verfügt über ein Organ von besonders wohltönendem Klang.

„Meine Herren“, begann er „ich bin mir dessen bewusst, dass dieser Empfang nicht eigentlich mir gilt, sondern meinem geehrten Kollegen, der mich in den Saal geleitet, und es freut mich, bei dieser Gelegenheit zu sehen, wie Sie Ihre Lehrer zu ehren verstehen“. Bei diesen Worten erhob sich ein wahrer Beifallssturm, der nicht früher endete, als bis Hofrat Nothnagel sich gerührt von seinem Platz erhob. Auch für seinen Vorgänger Bamberger fand Kahler lobende Worte. Auch anderen großen Männer gedachte er wie Rokitansky, Skoda und Türk.

Vor kurzem hat Professor Kahler, der Ende Mai 1890 lebensgefährlich erkrankt war, eine vierwöchige Badekur in Gastein beendet, und zwar mit so günstigem Erfolg, dass er, vollständig hergestellt, anfangs Oktober in Wien eintreffen wird, um seine ärztliche Tätigkeit und bald darauf auch sein Lehramt an der medizinischen Fakultät mit frischen Kräften wieder aufzunehmen.

Otto Kahler ist am 8. Jänner 1849 in Prag als Sohn eines vielbeschäftigten und hoch geachteten Arztes geboren. An der Universität Prag, die gerade im Fach der Medizin hervorragende Leuchten der Wissenschaft herangebildet hat, wurde er im Jahr 1871, erst 22 Jahre alt, zum Doktor promoviert und trat alsbald die ärztliche Praxis an. Vier Jahre hindurch war er als Sekundararzt an verschiedenen Abteilungen des Allgemeinen Krankenhauses tätig. Während dieser Zeit unternahm er eine längere Studienreise und besuchte eine Anzahl deutscher Universitäten, schließlich auch Paris. Nach Prag zurückgekehrt, wurde er Assistent an der inneren Klinik des Professor Dr. Halla. Im Jahr 1876 vermählte sich Kahler mit der Tochter des verstorbenen hoch geachteten Bankiers Dr. Carl Ritter von Zdekauer. Von Anbeginn seiner medizinischen Laufbahn darauf bedacht, sich dem akademischen Lehrfach zu widmen, veröffentlichte er im Jahr 1878 eine Schrift „Über Ataxie und über Ataxie nach akuten Erkrankungen“, auf Grund deren seine Habilitierung als Privatdozent an der Prager Universität erfolgte. Kaum 34 Jahre alt, wurde er an dieser Hochschule zum außerordentlichen Professor für innere Medizin ernannt, und als sein Lehrer Professor Halla in Folge erreichten 70. Lebensjahres sein Lehramt niederlegte, erhielt Kahler 1886 an dessen Stelle die ordentliche Professur für spezielle medizinische Pathologie und Therapie an der Prager deutschen Universität, nachdem er vorher durch drei Jahre als Primararzt des Prager Handelsspitales tätig gewesen. Mit der Professur übernahm er gleichzeitig die innere Klinik am allgemeinen Krankenhaus, neben Professor Przibram. Durch seine wissenschaftliche Tätigkeit und eine Reihe in der Gelehrtenwelt epochemachenden Fachschriften hatte sich Kahler im Laufe der Jahre einen Namen errungen, weit über die Grenzen Österreichs hinaus in medizinischen Kreisen bekannt und geachtet. Diese Arbeiten einzeln anzuführen, ist hier nicht der Ort; die neuesten derselben betreffen Nerven- und Rückenmarks-Krankheiten. In seiner Vaterstadt und in Böhmen war Kahler durch seine ausgedehnte Praxis als Confiliarius bald in weiten Kreisen bekannt und beliebt geworden. Als er vor etwa anderthalb Jahren an die Stelle des verstorbenen Hofrates Bamberger nach Wien berufen wurde, sahen ihn die Prager mit schwerem Herzen scheiden; und die zahlreichen ehrenden Ovationen, die ihm damals beim Abschied zu Teil geworden, sind ein Beweis der lebhaften Sympathien, die er sich in seiner Vaterstadt erworben. Aber auch in Wien wurde seine Berufung sowohl von den ärztlichen Kreisen, wie von der studierenden Jugend aufs Günstigste aufgenommen, und schon im ersten Jahr seines Wirkens an der Wiener Hochschule strömten ihm Kranke von hier wie aus allen Herren Länder zu, um sich ärztlichen Rat und Hilfe zu holen. Da ereilte ihn mitten in der angestrengten Berufstätigkeit, in Folge einer Infektion, die er sich in gewissenhafter Ausübung seines Berufes zugezogen, das Geschick, von einer jener überaus seltenen und bedenklichen Krankheiten, Polyneuritis ergriffen zu werden, deren Erforschung er zu einer seiner Lebensaufgaben gemacht, worüber er selbst wertvolle wissenschaftliche Essays geschrieben, die mit einem Wort in sein Spezialfach schlug. Er war sich daher auch sofort der ernsten Gefahr bewusst, in der geschwebt, und trotzdem so sehr von Wissensdurst durchdrungen, dass er eine genaue Beobachtung und Aufzeichnung aller seiner Krankheitserscheinungen für den Dienst der Wissenschaft anordnete und zum Teil selbst leitete. Dank seiner kräftigen, gesunden Natur und Widerstandsfähigkeit hat Professor Kahler die schwere Krankheit, anlässlich welcher ihm zahlreiche Beweise der Teilnahme geworden, glücklich überstanden, und wird binnen kurzem vollständig genesen wieder in unserer Mitte weilen um seine segensreiche Tätigkeit aufnehmen zu können. Indem wir den berühmten Arzt aus diesem Anlass herzlich beglückwünschen und begrüßen, glauben wir nur einem Wunsch vieler Leser zu entsprechen.

Als Kahler nach Wien kam, ahnte wohl niemand, dass der 40jährige Mann, der die Verkörperung von Gesundheit und Kraft zu repräsentieren schien, bereits den Todeskeim in sich trug.Und dennoch war dem so. In Prag schon hatte Gussenbauer in der Zunge Kahlers eine Verhärtung konstatiert, die sich bei der späteren Excision und mikroskopischen Untersuchung als karzinomatös erwies. Ein Jahr später erkrankte Kahler unter schweren nervösen Symptomen, die sich an eine Diphtherie angeschlossen hatten. Man sprach schließlich, da Kahler wieder vollkommen genas, von einer multiplen Neuritis. Im Hernst des Jahres 1890 wurde eine Recidive an der Zunge operiert. Im Vorjahr wurden infiltrierte Halsdrüsen entfernt und von nun ab war der Fall hoffnungslos, da es sich bald zeigte, dass die Mediastinaldrüsen infiziert waren.

Am 24. Jänner 1893 ist Hofrat Dr. Otto Kahler im 44. Lebensjahr in seiner Wohnung in der Stadiongasse 5, verschieden, von einem Arzt, von welchem die Wissenschaft und Menschheit, nach seinen bisherigen Leistungen, noch vieles und großes zu erwarten berechtigt war. Seine wissenschaftlichen Arbeiten sind in diversen Fachzeitschriften erschienen.

Prof. Otto Kahler war so sehr gefragt, dass er 1890 zu einem Konsilium nach Arco reisen musste um den Grafen Georg Waldstein, der sich in Behandlung des Badearztes Dr. Carl Gager begeben hatte, zu untersuchen. Wie er feststellen musste litt der Graf an einer Trinker-Leberentartung. Außerdem wurde der Geisteszustand des Grafen von weiteren Ärzten untersucht. Es erfolgte eine gerichtliche Untersuchung über den Fall Waldstein. Dr. Kahler konnte daran nicht teilnehmen, da er zu dieser Zeit in Abbazia weilte.

Zu Prof. Dr. Kaposi und Primarius Dr. Rollett wurde nun auch Prof. Otto Kahler hinzugezogen 1891 war Erzherzogin Margaretha Sophia, die Tochter Erzherzogs Karl Ludwig die seit einigen Tagen an gastrischem Fieber erkrankt war. Bald war hohes Fieber eingetreten, begleitet von den entsprechenden nervösen Symptomen und deutlich ausgesprochenen abdominellen Erscheinungen. Die Milzschwellung ist mäßigen Grades. Täglich erfolgten mehrere Bulletins über den Zustand der Erzherzogin. Es gab gefährliche Schwächezustände. Im 62. Bulletin hieß es, dass das Allgemeinbefinden gut ist. Die Erzherzogin konnte durch die Betreuung der Ärzte wieder gesund werden. Kaiser Franz Joseph war einige Male bei der Kranken zu Besuch. Auch die Kaiserin wurde ständig über den Verlauf der Krankheit in Korfu informiert.

Doch es bahnte sich die nächste Katastrophe mit der Vermählung der Erzherzogin Louise Antoinette Marie mit seiner königlichen Hoheit Prinz Friedrich August, Herzog von Sachsen in der Hofburg-Pfarrkirche am 21. November 1891, an. Daran nahmen unter anderem Erzherzog Heinrich teil, der mit seiner Gemahlin im Hotel Sacher logierte.

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Wiener Salonblatt

Am 27. November 1891 wird in der Wiener Zeitung gemeldet, dass Erzherzog Heinrich an Lungenentzündung erkrankt sei. Im 1. Bulletin ist zu lesen, dass das Fieber und lokalen Erscheinungen am Respirations-Apparat im Zunehmen sei. Der entzündete Prozess ist vorläufig im linken Unterlappen lokalisiert. Das Sensorium ist etwas benommen. Das Bulletin wird von Prof. Dr. Kahler und Prof. Dr. Oser unterzeichnet

Währenddessen ist auch Erzherzog Heinrichs Gemahlin, Freifrau von Waideck an einer sehr akuten Lungenentzündung erkrankt und stirbt 16 Stunden vor dem Erzherzog.

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Leopoldine Waideck,Interessante Blatt
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Erzherzog Heinrich,Interessante Blatt
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Wiener Salonblatt

Beide Toten wurden im Palais Erzherzog Rainer auf der Wieden aufgebahrt und in ihre Heimat nach Kaltern überführt.

Nach der Rückkehr der Kaiserin in Wien begab sie sich sogleich in das Palais Erzherzog Rainers um die zur Vollwaise gewordene Tochter zu besuchen.

Über diese beiden prominenten Toten im Hotel Sacher wird kaum berichtet.

QUELLEN: Wiener Montag Journal, 8. September 1890, S 1, Prager Abendblatt, 12. Oktober 1892, S 4, Allgemeine Wiener medizinische Zeitung, 26. März 1889, S 8, Neue Freie Presse, 13. Mai 1889, S 1, ANNO Österreichische Nationalbibliothek

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