HELFERTS BROSCHÜRE#

Historiker
Josepg A. Helfert

Über die Revision des ungarischen Ausgleichs hatte der bekannte tüchtige österreichische Geschichtsschreiber Freiherr von Helfert eine Broschüre geschrieben, welche mit Recht großes Aufsehen erregte. Baron Helferts Ansichten in diesem Punkt sind ungefähr folgende:

Die im Jahr 1526 erfolgte Vereinigung der Kronen von Ungarn und Böhmen in dem Hause Habsburg hat für beide unter gleichen Bedingungen stattgefunden; keine Sonderstellung Ungarns war paktiert. Bei den Verhandlungen über die Pragmatische Sanktion waren es die Ungarn selbst, welche die Einheit der Monarchie und den untrennbaren Zusammenhang ihrer Länder betonten und im gemeinsamen Staatsrat des Monarchen vertreten sein wollten. Die Sonderstellung, welche sie sich ausbedungen, bestand lediglich darin, dass sie nicht in den Formen des erbländischen Absolutismus regiert sein wollten. Als daher eine konstitutionelle Regierungsform für das Gesamtreich geschaffen war, war auch der Grund des staatsrechtlichen Dualismus weggefallen. Das Gegenteil brachte jedoch die ungarische Bewegung des Jahres 1848, und Helfert spricht, den ungarischen Gesetzen dieses Jahres noch heute, nach dem Ausgleich von 1867, die Rechtsgültigkeit ab, indem er ihnen speziell folgende drei Dinge zum Vorwurf macht: sie seien entstanden, ohne dass die ungarischen Reichstagsmitglieder über dieselben zuvor die nach der avitischen Verfassung gebotene Instruktion der Komitaten eingeholt hätten; es habe keine geregelte Beratung stattgefunden; endlich seien jene Gesetze ungültig „wegen der teils unlauteren Erwirkung, teils anfechtbaren Rechtskraft der Zustimmung des Monarchen“; zudem Einwurf aber, dass alle diese Gebrechen, wenn sie bestanden, ja durch die 1867er Ausgleichsverhandlungen saniert seien, macht Helfert die Bemerkung , dass sich 1867 zu 1848 nur verhalte wie die Frucht zum Keime!

Aus der Periode der Fünfziger Jahre rekapituliert Helfert die zahlreichen Kundgebungen hervorragender Ungarn, wie Eötvös, Dessewffy im Sinne einer gemäßigten, die Prinzipien eines Reich gemeinsamen Konstitutionalismus festhaltenden Politik, und mit besonderer Befriedigung registriert er die berühmte Adresse von 131 ungarischen Adeligen aus dem Jahr 1867. An dem nun folgenden Oktober Diplom hat Helfert nur das eine auszusetzen, dass der darin niedergelegte große Gedanke nicht zugleich als vollendete Tat“ ins Leben trat. Dem Umstand, dass die Achtundvierziger Gesetze in dem Diplom zwar nicht als bestehend anerkannt, ihre förmliche Abschaffung aber dennoch erst dem ungarischen Landtag überlassen, ihre Legalität also doch wiederum anerkannt war, schreibt Helfert alle später erfolgten Wirren zu.

Diese Wirren aber haben mit dem Jahr 1867 noch nicht ihr Ende erreicht: Helfert bemerkt ganz richtig „dass jener gefährliche Großmachtswahn, der im Jahr 1848 zum tollen Ausbruch gekommen war und in den verhängnisvollen Unabhängigkeits Erklärung; vom 14. April 1849 seine Spitze gefunden hatte, jenseits der Leitha noch immer in den Köpfen spuke und die Geister umstricke.“ Er gerät in Harnisch über die von den gewesenen ungarischen Minister Präsidenten Andrassy und Wenkheim zur Entschuldigung der schwarz-gelben Fahne auf dem Ofener Königschloss abgegebenen Erklärung und wir können uns nicht versagen, zur Charakterisierung der Schrift aus der hierauf bezüglichen Stelle wörtlich einiges mitzuteilen: „Nein, Herr Graf Andrassy Gyula und Baron Wenkheim Bela, Schwarz-Gold ist weder die „Privat“ Farbe Eures Kaisers und Herrn, noch die Farbe der Dynastie. Schwarz-Gold sind die Farben jenes Großstaates, dem Ihr seit vierthalbhundert Jahren das Glück habt anzugehören, jenes gewaltigen, schwarzen Doppeladlers im goldenen Felde, dem Ihr beide Herren es vielleicht zu danken habt, dass Eure gräflichen und freiherrlichen Geschlechter heute noch aufrecht sind und blühen; dem der weitaus größere Teil Eurer Landsleute es zu danken hat, dass sie nicht, heute eine von dem fanatischen Muselmann gedrückte und geschundene Rajah sind und gleich den armen Herzegowinern und Bosniern um eine menschliche Existenz ringen müssen, dem es Euer Land endlich zu danken hat, dass es mit seinen partibun annexis groß und mächtig da steht und fähig ist, den anderen Erbstaaten Eures Monarchen, die um Euretwillen Jahrhunderte hindurch Geld und Blut beigesteuert haben, jetzt ein Paroli zu bieten. Das, Ihr Herren und eure Nachfolger im ministeriellen Ehrensitz, wollet Euch ein für allemal ins Gedächtnis rufen, und wenn wieder einmal ein X oder Y oder Z mit einer an etwas Anderes streifenden Impertinenz sich erlauben sollte, zu fragen, was das schwarz-goldene Ding auf dem geordneten Steinhaufen, den man die Ofener Königsburg nennt, zu bedeuten habe, so werdet ihr die Gefälligkeit haben, ihm jene Verhältnisse auseinanderzusetzen und ihm dabei zu sagen, dass dankbares Erinnern an empfangene Großtaten niemals verunehrt, dass aber Undank unter allen Umständen schändet!“

Außenminister
Gyula Andrassy
Minister
Bela Wenkheim

Die Gegenwart aber sei für die Magyaren genau die Zeit von vor 150 Jahren, nur unter veränderten Formen. Wohl ihr Herren, der Türkennot wäret ihr glücklich los. Nichts mehr hat der Magyar von dorther zu fürchten, und mit verschränkten Armen kann er zuschauen, wie sich eine arme Rajah um ihr Recht, zum Schutz gegen Menschenraub und Steuerdruck, um ein nur halbwegs erträgliches Dasein herumschlägt. Aber, Ihr Herren Magyaren, würde nichts, wenn auch das Unglück träfe, euren Wunsch nach Selbständigkeit und Unabhängigkeit erfüllt zu sehen, eine ungleich größere Gefahr euch an den Leib rücken? Wenn heute Österreich zerfiele, wäret ihr morgen eine Beute der Völker. Euer Volk würde auf den Aussterbe Etat gesetzt werden und die von Jahr zu Jahr sich vermindernde Schaar seiner Kinder zigeunernd unter den Wohnplätzen anders sprechender Völker ein unbeneidendes Dasein fristen sehen, bis sie von diesen ganz aufgesogen und verwischt wären. Ihr braucht uns bei weitem mehr, als wir euch brauchen. Wir brauchen euch nur um der Großmachtstellung unseres Gesamtstaates willen, aber ihr braucht und um eurer einfachen Existenz willen!“

Nach diesem, wie man sieht, nichts weniger als einschmeichelnden Präludium entwickelt Helfert seine Ideen aber die Ausgleichsrevision. Es muss fallen vor allem die Honved Armee, folglich der ungarische Landesverteidigungs Minister, die Staatsschuld muss wieder eine gemeinsame werden; ein drittes Postulat ist „die ungeteilte Einheit des Zolls und Handelsgebietes und die einheitliche Wahrung der dahin gehörigen Angelegenheiten und Interessen“; besonders hebt Helfert hervor, „dass die ungeteilte Einheit der kaiserlichen Seemacht für immer unangetastet bleibe;“ der Titel „Österreich-Ungarn“ muss kassiert und das „Kaisertum Österreich“ wieder hergestellt werden; dass Revisionsprogramm gipfelt aber in folgendem Verfassungsvorschlag für die Behauptung der gemeinsamen Angelegenheiten: „Die beiderseitigen Ministerpräsidenten im obersten Rat der Krone - ein aus hervorragenden erprobten Regierungs Männern aller Teile des Reiches zusammen gesetzten mündigen Staatsrat … - ein an die Stelle des allseits angefochtenen Auskunftsmittels der Delegationen gesetzter, nach einem billigen Verhältnis zusammengestellter, nach gewissen mehrjährigen Zeitabschnitten wechselnder Reichsrat.“ Wie sich Helfert die Herbeiführung dieser Ausgleichsrevision denkt, darüber enthält er sich jeder Andeutung - Aber nicht bloß im Innern, auch für die auswärtige Politik Österreichs ist ihm der Separatismus Ungarns ein Greuel. Ihm ist die Annexion des Gebiets zwischen der Unna Save und der dalmatinischen Grenze ein Gebot österreichischer Staatspolitik; „aber was fangen wir mit dem Dualismus an,“ ruft er verzweifelt aus.

Quelle: „Neue Tiroler Stimmen“1875, ANNO Österreichische Nationalbibliothek, Bilder: I.Ch. Graupp

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