GRAF VON AEHRENTHAL#

Außenminister
Minister Aehrenthal

Alois Lexa Graf von Aehrenthal wurde am 27. November 1854 in Prag geboren. Er stammt aus einer ursprünglich jüdischen Familie, die in der Zeit der Gegenreformation aus Portugal nach Böhmen eingewandert im Ghetto bald sehr angesehen war. Sein Urgroßvater trat zur katholischen Kirche über und wurde bald darauf wegen seiner Verdienste um die Verpflegung der österreichischen Armee im spanische Erbfolgekrieg von Leopold II., in den österreichischen Adelsstand und vom Kurfürsten von Bayern Max Emanuel in die deutsche Reichsritterschaft aufgenommen. Unter Franz I., erhielt die Familie die Baronie. Baron Alois widmete sich der diplomatischen Laufbahn. Er wurde Attaché in Paris und in Petersburg vorübergehend und wiederholt zur Dienstleistung ins Ministerium berufen, kam er schließlich als erster leitender Beamter zur österreichisch-ungarischen Botschaft nach Russland wo er zehn Jahre lang belassen wurde. 1894 bis 1895 war Aehrenthal dann Gesandter in Bukarest. Kurz nach der Reise Kaiser Franz Josephs nach Petersburg und der darauf abgeschlossenen österreichisch-russischen Balkanentente 1897 übertrug ihm Graf Kalnoky den Petersburger Botschafterposten, den Aehrenthal bis 1907 bekleidete.

WIRD AUSSENMINISTER

Im Jahr 1907 wurde Baron Aehrenthal zum Minister zum Auswärtigen ernannt. Die Stellung des Grafen Goluchowsky war durch den Sieg der ungarischen Koalition unhaltbar geworden, als der ungarische Ministerpräsident Dr. Wekerle dem Grafen eröffnete, dass er nicht haften könne, dass das Budget des Ministeriums des Auswärtigen durch die ungarische Delegation glatt erledigt werde. Aehrenthal hatte sich schon seit dem Jahr 1906 bereit gehalten, dem Rufe des Kaisers zu folgen, In diesem Jahr überreichte er über Wunsch der Krone eine Denkschrift über die Zurückdrängung des deutschen Elementes in Österreich und die Rückwirkung dieses Systems auf die auswärtige Politik. Das Ergebnis dieser Schrift war der Sturz des Kabinetts Thun. Die Deutschen in Österreich hätten ihm das nie vergessen sollen. Als Botschafter in Russland hatte Aehrenthal an der Vertiefung der Beziehungen der Habsburger Monarchie zum nordischen Nachbarreiche mitgearbeitet. An dem Zustandekommen der Reise des Grafen Lambsdorff nach dem Balkan und der Vereinbarung der mazedonischen Reform Aktion im Jahr 1903 hatte er hervorragend mitgearbeitet. Durch den Russisch Japanischen Krieg und die darauffolgende Revolution war Russland geschwächt, im fernen Osten dauernd festgelegt. Die Stunde war gekommen, wo Österreich-Ungarn die Früchte dreißigjähriger Kulturarbeit pflücken und das unhaltbare Kondominium in Bosnien und der Herzegowina durch ein unzweifelhaftes Besitzverhältnis ersetzen konnte, zu dem es schon vorher wiederholt die Zustimmung Russlands erlangt hatte. Die Annexion Bosniens durchzuführen, die „verdorrende“ österreichisch-ungarische Armee trotz der misslichen parlamentarischen Verhältnisse mit allem nötigen wieder zu versehen, der Handelspolitik der Donaumonarchie eine frische Expansion zu geben, waren die Aufgaben, welche Aehrenthal gestellt waren. Er übernahm sein Amt, als König Eduard gerade eifrig an der Einkreisung Deutschlands durch sein seit dem Jahr 1901 geknüpftes Entente Netz arbeitete. Ein Jahr vorher (1906) hatte sich in Bad Ischl Kaiser Franz Joseph entschieden geweigert, in Berlin bei Kaiser Wilhelm der Dolmetsch englischer Flottenabrüstungswünsche zu sein. Dafür wurde in London österreichischer seits nahegelegt, dass König Eduard durch seinen jährlichen Besuch in Bad Ischl den Hof Kaiser Franz Josephs in eine unangenehme Lage bringe, wenn er nicht auch auf der Durchreise dem deutschen Kaiser einen Besuch abstatte. König Eduard, welcher die Bundestreue Österreich-Ungarns unerschütterlich fand, versuchte nun, den Stoß gegen die beiden mitteleuropäischen Kaiserreiche zu führen. Mit Hilfe des englischen Balkankomitees wurde in Mazedonien 1907 ein wahres Blutbad angerichtet. Die mazedonische Reform Aktion sollte nach Englands Absicht aus einer Aktion der beiden meist interessierten Mächte in eine internationale verwandelt und auch auf Albanien ausgedehnt werden, wobei Mazedonien nach Form Kretas der faktischen Souveränität des Sultans entrissen werden sollte. In Reval, anlässlich des Besuches König Eduards beim Zaren, sollten die diesbezüglichen Abmachungen getroffen werden. Aehrenthal parierte den weit ausholenden englischen Hieb durch einen Vorhieb. Er ersuchte den Sultan um eine Irade zur Erbauung der Sandschakbahn. Iswolsky sah darin einen Bruch der Entente. Österreich-Ungarn hatte die Hände wieder frei. In der Folge drängte sich die türkische Juli Revolution vom Jahr 1908 als neues Moment in die Balkan Politik. Die Annexion Bosniens und damit die Kräftigung der österreichisch-ungarischen Armee war dringlich geworden. Auf Schloss Buchlau in Mähren wohin Iswolsky von dem damaligen Botschafter Grafen Berchtold eingeladen worden war, willigte Iswolsky in die Annexion Bosniens ein, wogegen ihm Aehrenthal in Aussicht stellte, einer Regelung der Meerengen Frage im russischen Interesse nicht zu widerstreben. Iswolsky stieß aber, wie Aehrenthal vorausgesehen hatte, in London auf entschiedenen Widerstand, als er die Neuordnung der Dardanellen Frage anregte. An die Möglichkeit eines Krieges dachte Aehrenthal keinen Augenblick. Rußland konnte - wie sich damals der Wiener russische Militärattaché Oberst Matschenko ausdrückte - nicht ein einziges Armeekorps mobilisieren. Serbien hatte Aehrenthal durch die Verschleppung des Handelsvertrages und die damit verknüpften Staatsbestellungen verhindert, rechtzeitig neue Gewehre zu bestellen. Nun lagen die zu spät bestellten 100.000 Stückin der Waffenfabrik in Steyr und Aehrenthal verbot deren Ablieferung. Nur in Italien glaubte man, dass es doch losgehen könnte, und traf Mobilmachung Vorbereitungen, die bald verraten den österreichisch-ungarischen Generalstab veranlassten, den Krieg mit Serbien als Präventivkrieg zu fordern, Aehrenthal widersetzte sich dieser Proposition des Generalstabschef, Conrad von Hötzendorf. Er fand die Unterstützung des Kriegsministers Freiherrn von Schönaich. In der damaligen Situation liegen die Keime zu dem späteren Kampf zwischen Aehrenthal und Schönaich gegen Conrad. Aehrenthal stand nun im Mittelpunkt eines gegen Österreich-Ungarn gerichteten Kampfes. Die Staaten des Tripelentente waren von der gesunden Lebenskraft des angeblich kranken Mannes am Donaustrand peinlich überrascht. Über Ratschlag des deutschen Botschafters in Konstantinopel willigte Aehrenthal ein, an die Türkei 55 Millionen Franken Entschädigung zu zahlen. Deutschland stellte sich in „schimmernder Wehr“ an die Seite Österreich-Ungarns. Die Forderung nach einer Konferenz wurde fallen gelassen. Serbien gab in Wien die Erklärung ab, dass es gute Nachbarschaft in Zukunft halten werde. Nach durchgeführter Angliederung Bosniens und der Herzegowina an die Monarchie stand Aehrenthals Ruhm am Höhepunkt. Im Mai 1909 wurde er in den Grafenstand erhoben.

Aussenminister
Graf Aehrenthal

BALKANPOLITIK

Von nun an erklärte Aehrenthal die österreichisch-Ungarische Balkanpolitik für saturiert und lenkte sie in entschieden konservativen Bahnen. Kühl und kaltblütig beobachtete er die gereizte persönliche Politik Iswolskys. Der Abbruch der höfischen Beziehungen zwischen Wien und Petersburg der durch das Fernbleiben des russischen Hofes von den Jubiläums Feierlichkeiten in Wien 1908 und durch die Fahrt des Zaren über Frankreich nach Racconigi im Jahr 1909 in öffentliche Erscheinung trat, hatte keinen Einfluss auf die neue Richtung der auswärtigen Politik Österreich-Ungarns. Aehrenthal sprach wiederholt seine Überzeugung aus, dass Russland in seinem eigenen Interesse sich bald wieder Österreich-Ungarn nähern werde. Graf Aehrenthal hat die Verwirklichung dieser seiner Voraussage noch erlebt. Graf Aehrenthal arbeitete energisch auf die Befestigung des Dreibundes hin. Es war sicherlich ein Fehler in seiner Politik in diesem Belange, dass er das Verhältnis Österreich zu Deutschland dabei ohne jede Gefühlswärme – die Aehrenthal nie besaß – behandelte. Seine Haltung in der jüngsten Marokko Krise war nicht leicht verständlich. Er betrachtete das deutsch österreichische Bündnis als einen Ehebund der durch die beiderseitige Interessen Harmonie fest begründet war. Liebenswürdige Akzente, wie sie Kaiser Wilhelm oder Fürst Bülow wiederholt im richtigen Moment fanden, mangelte ihm gänzlich. Umso energischer setzte er sich für das Verbleiben Italiens im Dreibund ein und trat daher den Truppenanhäufungen entgegen, mit welchen der österreichische Generalstab den Aufmarsch von fünf Armeekorps in Nordostitalien beantwortete . Er trachtete, Italien ein Abzugsventil für die falschen kriegerischen Leidenschaften eines Teiles seiner Bevölkerung zu verschaffen. Auf seine Weisung unterstützte der österreichisch-ungarische Botschafter Markgraf Pallavicini bei der Pforte alle auf die Penetration pazifique gerichteten Bestrebungen Italiens in Tripolis. Die Türkei beachtete Aehrenthals Vorschläge nicht. Italien ging nach Tripolis und erleichterte dadurch die Neuordnung des Dreibundes.

Im persönlichen Verkehr war Aehrenthal ein unliebsamer Mann und stand sich mit manchem Diplomaten schlecht. Kurzweg kanzelte er den englischen Botschafter Sir Cartwright ab, als dieser anlässlich der Überreichung seines Anerkennungsschreibens dem Kaiser Franz Joseph im Auftrag König Eduards einen Vortrag über die englische Politik in der Annexions Krise halten wollte: „Sie werden, Exzellenz sprechen, wenn der Kaiser Sie fragen wird, sonst nicht!“

Das Vertrauen, das Graf Aehrenthal beim Kaiser Franz Joseph besaß, war unbegrenzt. Dreimal während seiner Ministerzeit hat Aehrenthal angesichts der immer wachsenden Abneigung des Erzherzog Thronfolgers Franz Ferdinand seine Demission an. Immer verweigerte sie der Monarch mit Ausdrücken der höchsten Ehrung.

KRANKHEIT LEUKÄMIE

Aehrenthal war ungemein arbeitsam, nie gönnte er sich Erholung und erst die schwere Erkrankung entriss ihn seinen Geschäften.

Minister
Gemahlin
Semmering
Zusammenkunft

Graf Aehrenthal war seit dem Jahr 1902 mit Gräfin Pauline Szechenyi, einer Tochter des früheren Ministers a Jatere, vermählt; der Ehe sind zwei Töchter, die Komtessen Karoline und Elisabeth und ein Sohn, Graf Johann, entsprossen.

Das kaiserliche Handschreiben, das den Grafen Aehrenthal noch am Todestag zugestellt wurde. Und ihn mit dem St. Stephan Großkreuz Orden in Brillanten auszeichnete.

DIE LETZTEN STUNDEN

Über die letzten Stunden des verstorbenen Ministers teilt das „Fremdenblatt“ folgendes mit: Graf Aehrenthal kämpfte den letzten Kampf wie ein Held. Er hatte von den Ärzten die volle Wahrheit gefordert und sie war ihm geworden. Auch die Besserung, die am Vormittag nach einer schlecht verbrachten Nacht für kurze Zeit eingetreten war, täuschte den Kranken nicht, der klaren Sinnes seine Disoisition als der höchstgestellte Beamte des Reiches und Familienvater traf. Er nahm rührend Abschied von Gemahlin, den drei Kindern und seinen Brüdern. Die Ärzte Hofrat von Jaksch und Hofrat Geiger verließen inzwischen das Krankenzimmer, dessen Fenster dicht verhängt waren, und betraten es erst, als Graf Aehrenthal seine Mitarbeiter zu sich beschieden hatte, um sie zum letzten Mal zu grüßen. Der Sterbende reichte jedem mit einigen leise sprechenden Dankesworten die Hand und erteilte noch dem ersten Sektionschef Botschafter Baron Müller einige dienstliche Ratschläge. Inzwischen war das kaiserliche Handschreiben eingelangt, in welchem der Monarch von dem Sterbenden Abschied nahm. Das Handschreiben wurde dem kranken Grafen zur Kenntnis gebracht, der die innigen Worte des Monarchen mit freudiger Miene vernahm.

Die Ärzte konnten sich nur mehr darauf beschränken, dem Patienten einige Erleichterungen zu schaffen und das fliehende Leben so lange als möglich zurück zuhalten.

Um das Krankenlager war die ganze Familie versammelt, die Gattin Gräfin Aehrenthal, die sich zu großer Fassung zwang, Graf Byland-Rheidt, Baron Felix und Franz Aehrenthal.

Gegen Mittag trat dann plötzlich die Verschlimmerung ein. Die Familie ließ dem Sterbenden die Tröstungen der Religion spenden und kurze Zeit darauf überbrachte Monsignore Rossi den päpstlichen Segen. Der Kranke lag in tiefer Bewusstlosigkeit aus der er von Zeit zu Zeit auf kurze Augenblicke erwachte. In diesen Minuten war sein Geist vollkommen klar und er erkannte alle Umstehenden. Während Hofrat Prof. Geiger im Krankenzimmer verblieb, hatte Hofrat von Jaksch das Ministerium um 2 Uhr verlassen, um einen seiner Wiener Freunde zu besuchen. Um 6 Uhr wurde er von der gräflichen Familie neuerlich berufen. Hofrat von Jaksch traf um halb sieben Uhr wieder im Ministerzimmer ein.

Gegen 7 Uhr trat die Agonie ein; die gesamte Familie versammelte sich wieder im Krankenzimmer. Am Bett des Kranken saß Hofrat Geiger, der die Hand des Sterbenden in der seinen hielt und die Pulsschläge zählte. Man hörte im Zimmer nichts als die leisen, immer schwächer werdenden Atemzüge.

Gegen drei viertel 10 Uhr drehte sich der Kranke zur Wand und Hofrat Geiger konstatierte den eingetretenen Tod.

Aehrenthal
Bahre

Der Tod Aehrenthals erregt allenthalben ehrliches Mitgefühl, hat doch schon der Umstand, dass der Minister noch bis zum letzten Moment die Leitung der auswärtigen Geschäfte führte und noch unmittelbar vor seinem Tod seinen Mitarbeitern Verhaltungsmaßregeln für die Zukunft gab, etwas Tragisches. Er zeigt aber auch das tiefe Pflichtgefühl, das den Grafen Aehrenthal beherrschte. Dieses, seine Energie, seine Gewissenhaftigkeit, aber auch seine Kaltblütigkeit werden von Freund und Feind anerkannt und allgemein ist die Empfindung, dass mit ihm einer der hervorragendsten Diplomaten unserer Zeit gestorben sei. Selbst Dr. Kramarsch, der Aehrenthals Politik in den Delegationen auf das schärfste angegriffen, gibt ihm in einem Nekrolog, zu dem er selbst das Wort nimmt, dieses Zeugnis. Die gesamte europäische Presse widmet dem Grafen Aehrenthal je nach ihrer politischen Stellung Nachrufe, besonders warm sind dieselben natürlich in Deutschland, aber auch in Italien dankt man jetzt dem Grafen Aehrenthal für die freundliche Haltung, die er diesen Staate gegenüber seit jeher eingenommen, und hebt die loyalen Gesinnungen desselben hervor...“

Über Befehl des Kaisers .wird das Leichenbegängnis des Grafen Aehrenthal vom Hofe in der feierlichsten Weise veranstaltet und die Arrangements unter Aufwendung eines Gepränges, für welches die Geschichte des Zeremoniells bei derartigen Anlässen kein Präzedens kennt, getroffen werden.

Aehrenthal
Begräbnis

Donnerstag um halb drei Uhr nachmittags findet in Anwesenheit eines Vertreters des Kaisers, der Erzherzöge, der Diplomaten und anderer Würdenträger die Einsegnung der Leiche in der Michaeler Kirche statt. Der Sarg wird um viertel drei Uhr im Ministerium gehoben und in einem sechsspännigen Hoftrauerwagen, begleitet von Leiblakaien und Fackelträgern, in die Michaeler Kirche gebracht. Den Trauerzug vom Ministerium des Äußern zur Michaeler Kirche bilden die Leidtragenden und sämtliche Beamten des Ministeriums des Äußern. Nach erfolgter Einsegnung bewegt sich der Leichenzug von der Michaeler Kirche zum Staatsbahnhof, von wo die Leiche nach Doxan überführt und Freitag um halb drei Uhr nachmittags in der Familiengruft beigesetzt.

Tschechien
Schloss Hrubá Skála

Wie wäre das Jahr 1914 verlaufen, wenn Aehrenthal noch gelebt hätte? Für seine Feinde war er der Hof Jude.

QUELLE: Agramer Zeitung, 18. Februar 1912, S 1, Grazer Volksblatt, 19. Februar 1912, S 1, Salzburger Volksblatt 19. Februar 1912, S 1,sowie Bilder daraus, ANNO Österreichische Nationalbibliothek

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