DIE ELEKTRISCHE BAHN #

Innere Stadt
Straßenbahn

Die Elektrische, welche vor einigen Wochen bis in die Walfischgasse vorgedrungen ist, hat am 2. Februar 1902 auch das Zentrum der Inneren Stadt erobert, und ihren Endpunkt gegen den Stephansplatz, die Haltestelle vor dem neuen Herrnhuterhaus auf dem Mehlmarkt erreicht. Gestern wurde die Linie „Hietzing Hauptstraße“, beziehungsweise „Mariahilfer Schleife – Neue Welt“ eröffnet; die Instradierung dieser neuen elektrischen Linie bezeichnet den vorläufigen Abschluss jener kolossalen Veränderungen welcher unser Straßenbahnverkehr in den letzten sieben Monaten erfahren hat, sowie die Komplettierung der wichtigsten Linie des gesamten Straßenbahnnetzes.

Die Bedeutung der neuen Route zum Neuen Markt für die Bewohner der Inneren Stadt wird am besten durch die folgenden Angaben Illustriert: Von der Endstation vor dem Herrnhuterhaus, welche genau 220 Schritte vom Stock im Eisen Platz entfernt gelegen ist, bringt uns der elektrische Motorwagen in 2 ½ Minuten zur Kreuzungsstelle bei der Oper, in 4 Minuten vor das Sezessionsgebäude, in 12 ½ Minuten zur Mariahilfer Kirche, in 17 Minuten zur Mariahilfer Schleife und in 34 Minuten zur Endstation Hietzinger Hauptstraße. Wenn man erwägt, dass man mit einem Fiaker vom Neuen Markt zum Westbahnhof, der knapp neben der Mariahilfer Schleife der Straßenbahn befindet, auch etwa 18 Minuten braucht, wobei der Fiaker kein einziges Mal die Fahrt unterbricht, so erscheint die Geschwindigkeit, mit der man nun um 10 Heller zur Westbahn gebracht werden kann, als eine ganz außerordentliche; aber auch die Fahrt vom Neuen Markt nach Hietzing in 34 Minuten ist eine sehr rasche zu nennen.

Die Motorwagen der neuen Linie verkehren, wie eingangs angedeutet, abwechselnd nach der Gleisschleife auf dem in den letzten Jahren entstandenen großen Plätze bei der alten Mariahilfer Linie und der zweiten Endstation Hietzinger Hauptstraße. Die Fahrt beginnt gleich vor dem Hotel Meißl und Schaden in flottem Tempo; vorüber an der Kapuzinerkirche gelangt man über die Tegetthoffstraße und den Albrechtsplatz in die Operngasse; dann geht es ein kurzes Stück über das Gleise der Neuen Wiener Tramway in die Friedrichstraße, und bei der Sezession fahren dann die Wagen bis zur Kreuzungsstelle Getreidemarkt – Babenbergerstraße über die Schienen der vor einer Woche eröffneten Rundlinie Praterstern – Schwarzspanierstraße – Praterstern auf das Geleise der Mariahilferstraße ein. Auf dem weit ausgedehnten Platz, wo sich die Schleife befindet und der jetzt einen der wichtigsten Knotenpunkte des gesamten Wiener Straßenbahnverkehrs bildet, wurde gestern das Gewirr der dort aus verschiedensten Richtungen zusammen treffenden Motorwagen durch die Züge der neu instradierten Strecke noch ganz wesentlich vermehrt. Wer sich an das Treiben bei der alten Mariahilferlinie vor zwanzig oder noch fünfzehn Jahren erinnert, wird finden, dass der Unterschied zwischen Damals und Jetzt ein ganz gewaltiger ist. Der Platz, der auch baulich eine solche Umstellung durchgemacht hat, dass man seine einstige charakteristische Eigenart gar nicht wieder zu finden vermag, ist, wie viele andere einstige Plätzchen im alten Wien, ein von modernem, nervösen Leben erfüllter und widerhallender Großstadtplatz geworden.

Hietzing
Endstelle

Die Züge der neuen elektrischen Linie werden von ihren Endpunkten in Intervallen von 2 ½ Minuten abgelassen, und der Verkehr auf dieser Route ist derart eingerichtet, dass auf dem Neuen Markt immer ein zur Abfahrt bereiter Wagen halten soll; in Folge des gestrigen, der Elektrischen sehr unholden Wetters und wegen anderer kleiner Störungen wurde diese für die neue Strecke geltende, jedenfalls recht angenehme Bestimmung nicht eingehalten und so geschah es wiederholt, dass zwei oder drei Minuten lang vor dem Herrnhuterhaus gar kein Motorwagen hielt, dann aber scharf hintereinander gleich drei Züge in den Platz einfuhren.

Auf der neuen Linie verkehren vorläufig bloß Einzelwagen mittlerer Type; ihre Weisungstafeln zeigen die Aufschriften „Neuer Markt – Mariahilferschleife“ oder „Neuer Markt . - Hietzinger Hauptstraße über Mariahilferstraße“, In der Operngasse tauchen jetzt zwischen den modern ausgestatteten elektrischen auch die alten, kleinen, mit Pferden bespannten Wagen der von Meidling in die Maysedergasse verkehrenden Vorortetramway auf; auch diesen dürfte bald das letzte Stündlein geschlagen haben.

QUELLE; Zeitungen der ÖNB Bilder I. Ch. Graupp

https://austria-forum.org/af/User/Graupp Ingrid-Charlotte/DIE_ELEKTRISCHE_BAHN