ARBEITERSTREIK#

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Streik, Foto Graupp

Verschiedene Branchen, derzeit gerade auch bei uns, versuchen durch Warnstreiks ihr Ziel, eine Erhöhung ihrer mageren Bezüge, Nachdruck zu verleihen. Im Jahr 1900 streikten die Kohlenarbeiter in Nordösterreich und was das bedeutete....

Der Streik der Kohlenarbeiter in Nordösterreich hat riesige Dimensionen angenommen, über 50.000 Arbeiter sind im Ausstand, die Folgen dieses Ausstandes machen sich bereits in einer Weise fühlbar die bei der längeren Fortdauer des Streiks das Schlimmste nicht nur für die Industrie, sondern auch für unentbehrliche, öffentliche Anstalten, ja für die gesamte Bevölkerung befürchten lassen. Die Vorräte an Kohle für den Betrieb zahlreicher Fabriken, für den Betrieb von Gaswerken,ja selbst für den von Bahnen zählen nach Wochen, selbst nach Tagen, verschiedene Etablissements haben die Arbeiten in Folge Kohlenmangels bereits eingestellt oder doch stark reduziert.Die Situation ist also heute schon eine solche, dass sie nicht zur Kalamität werden kann, sondern bereits eine solche ist, dass es heute gar nicht absehbar ist, wohin wir, wenn eine Besserung nicht bald eintritt, noch geraten können.

Dieser Streik der Kohlenarbeiter hat nach vielen Seiten Erscheinungen gezeitigt, die als neu, vielleicht auch als unerwartet bezeichnet werden können. Der Streik ist kein Produkt sozialdemokratischen Arrangements, im Gegenteil, die sozialdemokratischen Führer sind gleich im Anfang bei dem Versuch, die Führung der Bewegung an sich zu reißen, bei Seite geschoben worden, sie stehen ziemlich einflusslos den Arbeitermassen gegenüber. Die Haltung der Arbeiter ist weiter seit dem Beginn des Ausstandes eine geradezu musterhafte, sie vermeiden nicht nur alle Exzesse und gewalttätigen Versuch gegenüber den Unternehmungen, sondern sie enthalten sich auch nahezu gänzlich jeglicher demonstrativer Veranstaltungen. In gleicher Weise vermeiden die öffentlichen Organe einigermaßen abweichend von der bisherigen Praxis, die häufig provozierend wirkenden, übermäßigen Vorsichtsmaßnahmen, das an die Ausstandsorte beordnete Militär wird nur zum Schutz der Arbeitswilligen in Anspruch genommen, man kann sagen, dass ein objektiver Geist hat auch bereits andere Maßnahmen gezeitigt, es sind zwei hohe Würdenträger in die Streikgebiete abgesandt worden, um den Einfluss der Staatsgewalt zur Schlichtung des Ausstandes wirken zu lassen, so weit es die in dieser Beziehung noch sehr rückständige Gesetzgebung zulässt. Andererseits sehen wir auch ganz energische Maßnahmen zum Schutz der vaterländischen Bedürfnisse angewendet, worunter wir besonders die Zurückhaltung ansehnlicher für das Ausland bestimmter Kohlentransporte hervorheben.

Nicht neu ist bei der ganzen Geschichte nur eines, die Haltung der großkapitalistischen Kohlenproduzenten, die unbekümmert um die großen Interessen, die dabei auf dem Spiel stehen, auf dem Standpunkt der brüsken Negation verharren. Es ist nicht unsere Sache, eine Detailprüfung der Arbeiterforderung vorzunehmen, sie auf ihre Berechtigung zu untersuchen. Dagegen kennen wir die Tatsache, dass sich der Ertrag der Kohlengruben gerade in der letzten Zeit geradezu sprunghaft gesteigert hat, wir brauchen diese Tatsache gar nicht weiter zu begründen, jeder kann sie an der exorbitanten Preissteigerung der Kohle selbst verspüren, wobei nota bene auch noch ein bedeutende Produktionsvermehrung in Rechnung zu ziehen ist. Einen gewissen Anteil von diesen Mehrerträge den Kohlenarbeitern zuzuwenden, ist fraglos nicht nur eine sozialpolitische Pflicht, sondern eine solche auch der gesamten Öffentlichkeit gegenüber, umso mehr, wenn diese Öffentlichkeit bereits die doppelte Rechnung präsentiert bekommt. Zuerst die Rechnung mit dem erhöhten Kohlenpreise, dann die mit dem Schaden durch den Kohlenmangel.

Dazu im Gegensatz haben die Unternehmer unter Führung der Buschtehrader, der Staatseisenbahn und der Prager Eisenindustriegesellschaft, diese darf bei solchen Dingen natürlich nie fehlen, die arme , erklärt, die Arbeiterforderungen überhaupt nicht zu diskutieren, ja selbst die Beschickung des Einigungsamtes zu verweigern. Diese Haltung kann und darf nicht ruhig hingenommen werden; die Delegierten der Regierung, Justizminister Baron Spens-Booden und Sektionschef Blumenfeld haben nun jedenfalls die angenehme Aufgabe, diesen Herren begreiflich zu machen, dass der Staat nicht bloß dazu da ist, sie beim Einstecken des Profites zu schützen, sondern dass auch sie dem Staat und seinen mit dem Gedeihen der Industrie, der Befriedigung der allgemeinen Bedürfnisse untrennbar verbundenen Interessen gegenüber Verpflichtungen haben. Man wird den Herren vielleicht auch nahelegen, wie jetzt denn doch die wieder flott machen der parlamentarischen Gesetzgebung im Bereich der Möglichkeit stehe und wie eine Regierung kaum nennenswerten Widerstand im Reichsrat finden würde, wenn sie mit einer Vorlage käme, die die Gefahren der Dickköpfigkeit und Gewinnsucht der Kohlenbarone für immer zu beseitigen geeignet wäre. Die beiden Herren haben eine schwere Mission, aber der Rückhalt, dass so ziemlich die ganze Bevölkerung den Erfolg dieser Mission wünscht, dass ihr Begehren nach zukünftigen, kräftigen, vorbeugenden Maßnahmen der Gesetzgebung dem Wunsch Nachdruck gibt, mag auch erleichternd auf das Erreichen des Erfolges wirken.

QUELLE: Reichspost, 25. Jänner 1900, S 1, ANNO Österreichische Nationalbibliothek

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